Ein unveröffentlichter Leserbrief an die Torgauer Zeitung
Nun ist er wieder da, der 2. Lockdown. Es ist verständlich, wenn den Menschen jetzt nicht unbedingt der Sinn nach Politik steht. Man ist in einer Pandemie mit aufgeheizter Atmosphäre und da ist man zuerst auf die Gesundheit und Zukunft fokussiert. Die Corona Krise wird man mit einem Impfstoff bekämpfen können, gegen eine Verfassungskrise gibt es aber keinen. Da helfen nur Wachsamkeit und bürgerschaftliches Engagement, denn die Rechte, welche uns in Folge der Krise verloren gehen, werden wir danach nicht wieder zurück bekommen.
Nahezu unbemerkt hat sich, bestehend aus der Kanzlerin und den 16 Länder-Ministerpräsidenten, eine Art Neben-Regierung gebildet, die fortan über gravierende Maßnahmen, die bis zur Existenzvernichtung führen können, für unseren Staat und seine Bürger entscheiden. Das Grundgesetz kennt ein solches Gremium nicht und deshalb ist es auch nicht zu solchen Handlungen legitimiert. Auch eine epidemische Lage rechtfertigt nicht die längere Suspendierung fundamentaler Verfassungsprinzipien.
Der Lockdown ist ein brachialer Eingriff in die Lebensverhältnisse eines Landes und erfordert die unverzichtbare Mitwirkung des Parlaments, denn auch in Krisenzeiten obliegt die Staatsleitung dem vom Volk gewählten Parlament und die Regierung hat dessen Entscheidungen zu vollziehen. Sie ignoriert das Parlament und beschließt Maßnahmen, für die sie nicht zuständig ist und die dem Parlament vorbehalten sind.
Das Parlament wiederum hat sich ohne großen Widerstand entmachten lassen und ist abgetaucht. So beginnt das Ende einer Demokratie. Natürlich braucht man für diese schwerwiegenden Grundrechtseingriffe auch eine Rechtfertigungsgrundlage. Da dafür die Reproduktionszahl nicht mehr ausreichte, hat man Anfang Mai mit dem Inzidenzwert einen Begriff aus der Epidemiologie gewählt und dessen Grenzwert auf 50 festgelegt. Auf diesen Wert haben sich die Kanzlerin und Ministerpräsidenten auf dem Verhandlungsweg geeinigt.
Er ist ein politischer Kompromiss und weder wissenschaftlich noch rechtlich ausreichend begründet. Bekannt ist, dass dieser Grenzwert als starrer und alleiniger Indikator als Zahl für das Ergreifen einschneidender Maßnahmen ungeeignet ist. Da dieser Begriff einen wissenschaftlichen Hintergrund hat, gelang es der Politik, die Bürger ruhig zu stellen und sie sogar noch dazu zu bringen, die Grundrechtseingriffe gegen sich selbst zu befürworten.
Ein politisch äußerst raffinierter Schachzug. Wir erinnern uns noch, als unsere Politiker lautstark gegen die Gefährdung der Demokratie in Ungarn protestierten, weil sich Victor Orban vom Parlament befristete Sondervollmachten zur Corona-Bekämpfung einräumen ließ. Und bei uns soll ein Bundesgesundheitsminister solche weitreichenden Sonderrechte erhalten, um am Parlament und Bundesrat vorbei auf diffuser Gesetzesgrundlage Anordnungen erlassen zu können.
Es gibt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, in dem die Kompetenzen der Regierung, durch Rechtsverordnungen Ausnahmen von Gesetzesvorschriften zuzulassen, als sehr problematisch bezeichnet werden. Dann ist auch das ein Anschlag auf die Demokratie, aber ich höre keinen Protest. Bei allen Regelungen und Verboten, welche die Politiker erlassen, stellt sich die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit und der Verträglichkeit mit dem Grundgesetz. Es gibt erhebliche Zweifel, dass die Freiheitsbeschränkungen, wie sie immer wieder angeordnet werden, stets plausibel vor dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begründet werden können.
Nicht alles ist verfassungswidrig, aber auch nicht alles möglich. Voraussetzung für den Lockdown wäre die Feststellung einer epidemischen Notlage nach dem Infektionsschutzgesetz gewesen. Dafür hat die Panikmache der Regierung aber offensichtlich nicht ausgereicht und diese Feststellung hätte auch das Parlament treffen müssen. So ist es nicht verwunderlich, dass es inzwischen über 230 veröffentlichte Gerichtsentscheidungen zum Coronavirus gibt, in denen ein großer Teil der staatlichen Maßnahmen als rechtswidrig aufgehoben wurde.
Wenn die Politik verkündet, nach Corona wird nichts mehr so sein wie vorher, dann sollten unsere Alarmglocken schrillen, nicht dass wir dann auf einmal in einem Land leben, das wir so nicht wollten.
Dieter Glimpel
Stadtrat in Torgau